Die vedische Literatur - die 4 Veden

Woraus besteht die vedische Literatur?
Was sind die 4 Veden?

Die vedische Literatur wird unter dem Oberbegriff shastra (Bedeutung: das was regelt, zurechtweist, auf dem rechten Weg hält) zusammengefasst. Dem spirituell Strebenden wird empfohlen, seine persönlichen Erfahrungen und Schlussfolgerungen immer auch anhand der shastra zu prüfen. In der Chandogya Upanishad (VII,1,2) - nach moderner Auffassung einer der ältesten Upanishaden - zählt der Weise Narada folgende Texte zur shastra, Narada Muni sagt: Ich kenne Rig-, Yajur-, Sama- und Atharvaveda (die vier Veden), sowie die Itihasas (Chroniken wie das Mahabharat, das die Bhagavad-Gita enthält, und das Ramayana) und Puranas als fünften Veda. Ich bin vertraut mit den Pancaratras (Ekayanam) und den Sutras (Lehrschriften zu bestimmten Wissensgebieten).“ Das Shrimad-Bhagavatam (1.4.20), auch Bhavagat-Purana genannt, das nach moderner Auffassung eines der jüngeren Puranas ist, bestätigt diese Aufzählung.

Palm-manuscriptDie vier Veden: Rig-Veda, Sama-Veda, Yayur-Veda und Artharva-Veda, die Urfassung des Rāmāyana von Vālmīki, das Mahābhārata und die Purāṇas werden als die vedischen Schriften bezeichnet. Die Upanishaden sind Teile der vier Veden und in den Vedānta-sūtras ist die Substanz der Veden enthalten. Als Zusammenfassung aller vedischen Schriften, als die Essenz der Upanishaden und als einführende Erklärung der Vedānta-sūtras gilt die Bhagavad-gītā. Daraus ergibt sich, dass man durch die Bhagavad-gītā Zugang zu der Essenz der Veden haben kann, denn sie wird von Kṛṣṇa, dem Herrn, dem höchsten persönlichen Gott, gesprochen, der aus der anti-materiellen in diese Welt herabsteigt, um uns vollkommenes Wissen über die überweltlichen Energien zu vermitteln.

Jeder der vier Veden besteht aus Samhita (Sammlung von Hymnengruppen, Mantras), Brahmanas (umfangreiche theologische Abhandlungen über die richtige Verwendung und Bedeutung der in den samhitas enthaltenen Hymnen und Mantren für Opferhandlungen), Aranyakas (die Waldbücher) und den zum Teil in ihnen eingebetteten Upanishaden (Vedanta). Allein diese kurzen Beschreibungen vermitteln uns einen ersten Eindruck davon, wie breit die vedischen Schriften gefächert sind. Der Rg Veda allein enthält über 1000 Hymnen mit mehr als 10000 Versen, der Atharvaveda über 730 Hymnen mit mehr als 6000 Versen, das Mahabharata besteht aus 110000 Verspaaren, und die achtzehn Haupt-Puranas enthalten Hunderttausende von Versen. Zu diesen vedischen Schriften im engeren Sinne hinzugezählt, werden zuweilen auch die Kommentare späterer Meister und Lehrer, die den Lauf der vedischen Denkweise jahrhundertelang mitbestimmt haben.

Die vedischen Schriften werden in shruti und smriti unterteilt. Zu den shruti gehören die vier Veden inklusive der Upanishaden. Dieser Begriff wird aus der Sanskritwurzel sru (hören) abgeleitet und bedeutet soviel wie, das Gehörte. Sie wurden von den rishis (Seher, Heilige) gehört und weitergegeben, doch ihr Ursprung ist nicht von dieser Welt.

Zu den smriti zählen Offenbarungen, deren erster sprachlicher Formgeber bekannt ist (Vyasa, Narada usw.), die Puranas, die Itihasas (wie das Mahabharata, in dem die Bhagavad-Gita enthalten ist), die Manusmriti und andere Gesetzbücher, die Nitishastras (Lehrbücher über das richtige Verhalten) sowie die Werke (darshana) der Begründer der sechs klassischen indischen Philosophiesysteme wie Jaimini, Kapila, Patanjali, Kanada. Smriti bedeutet ”das, was erinnert wurde“. In einem Sinnbild wird die sruti mit der Mutter und die smriti mit der Schwester verglichen. Ein Kind hört zuerst von seiner Mutter und kann dann aus den Beschreibungen seiner Schwester weiterlernen.

Die vedischen Geschichtsbücher, welche historische Aufzeichnungen in nicht unbedingt chronologischer Reihenfolge enthalten, werden Itihasas und Puranas genannt. Die bekanntesten Itihasas sind Vedavyasas Mahabharata und Valmikis Ramayana. In ihnen werden die Taten großer Herrscher, Halbgötter und anderer bedeutender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten der Weltgeschichte erzählt, die, aus sogenannter wissenschaftlicher Sicht Produkte einer regen Phantasie zu sein scheinen. Philosophische Erörterungen, Dharma, yoga und andere Themen nehmen in diesen Schriften ebenfalls einen wichtigen Raum ein.

Andere bedeutende spezifische Abhandlungen vedischen Wissens, die im Laufe der Geschichte offenbart wurden, sind z.B. Manu-samhita, das Gesetzbuch Manus, in welchem die sozialen und religiösen Pflichten der arya-s (Mitglieder einer zivilisierten Gesellschaft) dargelegt sind; Visnu-smriti; Narada-smriti; Yajñavalkya-smriti; im 16. Jahrhundert die Schriften der sechs Heiligen Rupa, Jiva etc. Gosvamis, Krsnadasa Kavirajas und anderer vaisnava-s, deren Schriften das höchste vertraulichste Wissen offenbaren und in neuerer Zeit die Schriften von Bhaktivedanta Swami Prabhupada, dem wir eine (fast) vollständige Übersetzung des Srimad-Bhagavatam mit ausführlichen Kommentaren verdanken. Er übersetzte außerdem das große Werk Caitanya-caritamrta von Krsnadasa Kaviraja ins Englische. Dies sind nur ein paar Beispiele aus dem Schatzhaus der vedischen Literatur. Was immer im Lauf der Zeit durch große Heilige und Weise offenbart wurde und noch offenbart wird und nicht im Widerspruch steht zu den Kernaussagen der ursprünglichen Veda-s wird ebenfalls als Veda anerkannt, d.h. es gilt als authentische Quelle vedischen Wissens.

 

Was ist der Ursprung der Veden?

sarvasya cāhaṁ hṛdi sanniviṣṭho
mattaḥ smṛtir jñānam apohanaṁ ca
vedaiś ca sarvair aham eva vedyo
vedānta-kṛd veda-vid eva cāham

"Ich weile im Herzen jedes Lebewesens, und von Mir kommen Erinnerung, Wissen und Vergessen. Das Ziel aller Veden ist es, Mich zu erkennen; wahrlich. Ich bin der Verfasser des Vedānta, und Ich bin der Kenner der Veden." (Bhagavad-gita 15.15)

Übereinstimmend erklären die altindischen Schriften (shastras), die vedische Literatur sei vor 5000 Jahren zu Beginn des Kali-Yugas niedergeschrieben worden, nachdem sie vorher schon viele Millionen von Jahren in der Form von shrutis (dem Gehörten) mündlich überliefert wurde.

Das vedische oder göttliche Wissen wurde am Beginn dieses Zeitalters vor ca. 5000 Jahren von Vedavyasa, einer Inkarnation des Höchsten Herrn, schriftlich aufgezeichnet. Davor wurde es mündlich überliefert. Vor fünftausend Jahren stellte sie der Weise Vyasa unter zwei umfassenden Kategorien zu den vedischen Schriften zusammen: die schruti (was gehört wurde) und die smriti (was erinnert wurde).

Die schruti besteht aus den vier Veden. Die smriti beinhaltet die Puranas (geschichtliche Erzählungen), das Ramayana (das Epos von Sita und Rama) und das Mahabharata, zu welchem die bekannte Bhagavad-gita gehört. Diese schrutis wurden von Philosophen, Yogis und Heiligen (rishis) in langen Schülertraditionen an die nächste Generation weitergereicht, bis in unsere heutige Zeit.

Als erstes Lebewesen empfing Brahma, der auch als Prajapati ("Herr der Geschöpfe") bekannt ist, das Wissen direkt von Krishna, dem Höchsten Herrn. Brahma gab es weiter an seine Söhne, die es ihren Söhnen und Schülern vermittelten usw. Anfangs gab es nur einen Veda, der später zur Erleichterung des Studiums vierfach unterteilt wurde, nämlich in Rig, Yajur, Sama und Atharva.

Veda bedeutet also: heiliges Wissen, das nicht-menschlichen (a-paurusheya) Ursprungs ist. Das Offenbarungswissen des Veda geht den Pfad des Hörens - nicht nur in früheren Zeiten, sondern auch heute wie wir später noch aufzeigen werden. Dieses Hören geht über das hinaus, was mit dem menschlichen Ohr gehört wird, sondern weist auf ein Hören im Innern hin. Das Wort - die heilige Wortoffenbarung - ist ewig und hat keinen zeitlichen Anfang. Es entfaltet seinen wahren Sinn dann, wenn es von jemandem gesprochen oder gehört wird, der entsprechend verwirklicht ist. Entsprechend der Brhad-aranyaka Upanisad (2.4.10) entströmt dieses Wissen dem Atem des Purushas (Gottes). Es wird gesagt: ”So wie unser Atem leicht fliesst, entstehen diese Schriften aus dem Höchsten Brahman, ohne dass dieses Sich darum bemühen müsste.“

Der vedischen Tradition zufolge sind die Veden einerseits a-paurusheya, das heisst, nicht auf menschliche Tätigkeit oder Fähigkeit zurückführbar. Sie gelten als absolut und selbst-autoritativ, sie sind mit anderen Worten für eine Erklärung von nichts anderem abhängig als von sich selbst. Andererseits bedeutet das jedoch nicht, dass das, was als Schrift gelesen oder als Wort gehört wird, bereits absolut ist. Vielmehr wird betont, dass die innere Verwirklichung unerlässlich ist, um die äussere Schattenhülle des Wortes durchstossen zu können, und den Sinn - den Gehalt - im eigenen Atman zu erkennen und unmittelbar zu erfahren (siehe dazu auch den Text aus dem Bhagavata von Bhaktivinoda Thakura, Einleitung: 10. Einige Worte zu Indien).

Das vedische Wissen gilt als ewig, und da der materielle Kosmos sich in einem ständigen Wandel befindet, wird auch der Veda immer wieder neu verkündet. Es ist die ewige Wiederkehr des Gleichen in zahlreicher Abwandlung, entsprechend Zeit, Ort und Umständen. Es ist nur natürlich, dass sich die menschliche Individualität und Eigenheit in unterschiedlichen philosophischen Ansichten ausdrückt. Die verschiedenen Heilswege und Yogapfade, die in den vedischen Schriften enthalten sind, ist die wirklichkeitsnahe und darum zeitlose Antwort eines grossen Erziehungsplan, der um diese Individualität weiss.

Der Veda geht nicht in der Art eines geschickten Kartentrickspielers vor, indem er einen vorgefertigten Weg, der für jeden Menschen passt, aus der Tasche zaubert. Vielmehr fächert er ein unbegrenztes Spektrum an verschiedenen Wegen und philosophischen Betrachtungsweisen auf, um den Mensch auf der ihm eigenen Ebene der Bewusstseinsentfaltung und Neigung anzusprechen und ihn zu ermutigen, sich weiter zu entwickeln, - sowohl ihm Hinblick auf die materielle als auch spirituelle Wirklichkeit der Existenz. Zwar scheinen sich durch diese Vielfalt Widersprüche im ”heiligen Wissen“ des Veda aufzutun. Doch diesem weiten Spektrum liegt dieselbe Ursache zu Grunde und so führen die vedischen Schriften (shastras) letztendlich zu einem harmonischen Ganzen mit einer harmonischen Schlussfolgerung (siddhanta).


In der Brihadaranyaka Upanisad heißt es in Vers 2.4.10
:

स यथार्द्रैंधाग्नेरभ्याहितात् पृथग्धूमा विनिश्चरन्त्येवं वा अरेऽस्य महतो
भूतस्य निश्वसितमेतद्यदृग्वेदो यजुर्वेदः सामवेदोऽथर्वाङ्गिरस इतिहासः पुराणं
विद्या उपनिषदः श्लोकाः सूत्राण्यनुव्याख्यानानि व्याख्यानान्यस्यैवैतानि
निश्वसितानि ॥

"Rig Veda, Yajur Veda, Sama Veda, Atharva Veda und Itihasas
(geschichtliche Erzählungen wie das Mahabharata und die Puranas)
wurden aus dem Atem der Absoluten Wahrheit geboren.
So wie das Atmen wie von selbst geht, kommen diese
vom Höchsten Brahman, ohne jegliche Anstrengung Seinerseits."

Gemäß vedischer Tradition sind die Vedas absolut und selbst-autoritativ. Sie hängen, was Erklärungen betrifft, ausschließlich von sich selbst ab. Das bestätigt Sri Krishna Selbst in der Bhagavad-Gita (3.15) brahmaksara-samudbhavam. "Die Vedas wurden unmittelbar von der unfehlbaren Höchsten Persönlichkeit Gottes manifestiert."

Alle großen philosophisch-spirituellen Lehrer Indiens bestätigen diese Wahrheit. Der Atharva Veda bestätigt selbst, daß Sri Krishna, der am Anfang der Schöpfung Brahma, den weltlichen Schöpfergott, instruierte, das vedische Wissen in der Vergangenheit verbreitete.

Die Schriften beschreiben sich selbst als apauruseya, was soviel bedeutet, daß sie nicht von einer materiell bedingten Seele stammen, sondern vom Höchsten (einer Quelle, die transzendental zur weltlichen Dualität steht). Vedisches Wissen wurde also in der Dämmerung der Schöpfung an Brahma vermittelt, dieser unterwies seinerseits Narada, dessen Verwirklichungen sich durch alle vedischen Schriften hindurchziehen.

Es ist für den modernen, wissenschaftlich orientierten Menschen kaum nachvollziehbar (und infolgedessen unglaubwürdig), wie etwas ohne Ursprung bzw. transzendenten Ursprungs sein kann.

Man sollte jedoch verstehen, daß jedes Verständnis spiritueller Schriften sich jenen entzieht, die außerhalb ihrer Tradition stehen und bleiben wollen, d.h., eine rein akademische Heransgehensweise an die komplexe Vielfalt der Vedas und ihrer begleitenden Schriften muß an einem gewissen Punkt scheitern.

Folglich werden Schlüsselfragen von der Wissenschaft auch gar nie gestellt, z.B., wie denn ein Erkenntnisprozeß ablaufen muß, um zu solchem Wissen zu kommen, wie man bei Werken der Größenordnung von 50000 oder gar 100000 Sanskritversen, die in ihrer sprachlichen Vielschichtigkeit (und damit meine ich nicht die sprachliche Akrobatik eines Kant oder Hegel) kaum zu übertreffen sind, überhaupt den Überblick behalten kann, zumal zu einer Zeit, da der Mensch angeblich gerade der Barbarei entkommen ist.

Der vedische Erkenntnisprozeß ist ausschließlich ein innerer Prozeß, und das Mittel zur Gewinnung dieser Erkenntnis ist die Meditation. Jedoch ist diese Erkenntnis dann nicht das Ergebnis einer intellektuellen Anstrengung, denn keiner der Rishis (Weisen), die diese Schriften zu Papier gebracht haben, tat dies vorrangig aus intellektuell-philosophischem Interesse, sondern in erster Linie der eigenen spirituellen Selbsterkenntis willen.

Wissen ist immer da, nichts kann jemals in dieser Hinsicht erfunden, entdeckt oder sonst etwas werden. Daher stellt sich ausschließlich die Frage nach der Methodik der Erkenntnisgewinnung. Im wissenschaftlichen Kontext kommt man durch induktive Methoden (analytische Forschung und deren systematisch-logische Interpretation) zu Erkenntnis, im spirituellen Kontext durch deduktive Methoden (Inspiration, Verwirklichung). Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß der Weise das Wissen sozusagen als Nebenprodukt einer spirituellen Praxis wie von selbst erlangt, Beispiele dafür gibt es genug.

Veda bedeutet ja nichts anderes als Wissen, jedoch durch innere Erkenntnis verwirklichtes Wissen. Daher ist es von äußeren Umständen völlig unabhängig, und es ist immer, überall und für jeden gültig (was man von wissenschaftlichen Erkenntnissen beileibe nicht immer behaupten kann). Vedisches Wissen muß nicht nachjustiert werden, um zu stimmen, es muß bestenfalls in verständliche Sprache transformiert werden (was wegen der Begrenztheit von Sprache nicht ungefährlich ist).

Unterschiede in der Auslegung offenbarter Schriften resultieren aus der unterschiedlichen spirituellen Position der jeweiligen Kommentatoren bzw. aus dem spirituellen Kontext, dem sie entstammen. Transzendentalisten nehmen oft aus bestimmten Gründen in einer Gesellschaft Geburt, um die spirituelle Enwicklung in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Siehe auch: Die vedischen Schriften

 

 

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